Anlagen zur Wasserstofferzeugung sind im Bau oder schon realisiert. Das Herzstück dieser Anlagen ist der Elektrolyseur, der den erzeugten Wasserstoff über eine Verrohrung weiterführt. Klinger hat sich der Herausvordung gestellt, bei der Anlagenplanung den Dichtheitsnachweis oder Nachweis über (nicht vorhandene) Leckage für Wasserstoff zu berechnen.
Berechnungen von Flanschverbindungen und deren Leckageklasse erfolgen normalerweise mit Werten von Helium. Ein allgemein gültiger Umrechnungsfaktor im Vergleich zu Helium lässt sich nach heutigem Wissensstand nicht angeben, da dieser Faktor von vielen weiteren Parametern abhängt, zum Beispiel den Strömungsverhältnissen, Permeations- und Adsorptionsvorgänge im Dichtungswerkstoff und so weiter.
HIER lesen Sie, welche Optionen es für einen Nachweis an Flanschen gemäß DIN EN 1092-1 bis 4 gibt
Option 1: Der typbasierte Bauteilversuch zur Bestimmung der Leckagerate einer Flanschverbindung. Für die Prüfsituation wird die erreichbare Flächenpressung des schwächsten Flansches der PN-Reihe angenommen. Diese Flächenpressung Qmin (LBauteilversuch) dient dazu, in einem Laborversuch unter Verwendung eines Massenspektrometers mit dem Prüfmedium H2 unter Anlagendruck nachzuweisen, dass die Kombination aus Flansch, Dichtung und Schrauben unter den gegebenen Prozessbedingungen die geforderte Dichtheitsklasse einhält. Diese Dichtheitsklassen können entweder gemäß DIN 3535-6 L0,1 mit der spezifischen Leckagerate ≤ 0,1 [mg s−1 m−1] oder TA-Luft L0,01 mit der spezifischen Leckagerate ≤ 0,01 [mg s−1 m−1] oder höher vergleiche DIN EN 13555 Tabelle 1 Dichtheitsklassen sein.
Zuvor muss eine Temperaturauslagerung bis zur maximalen Prozesstemperatur erfolgen, um die Relaxation des Systems zu simulieren. Basierend auf diesem Nachweis ist eine Drehmomenttabelle zu entwickeln, die für alle weiteren Nennweiten der PN-Reihe eine Montageflächenpressung Qmin (LDrehmomenttabelle) garantiert, für die gilt: Qmin (LBauteilversuch) ≤ Qmin (LDrehmomenttabelle). Eine fachgerechte und qualitätskontrollierte Montage mit entsprechender Dokumentation ist Voraussetzung für einen solchen Nachweis. Diese Vorgehensweise stellt für den Anlagenbauer/Betreiber einen Mehraufwand dar und wird daher sehr wahrscheinlich nicht sehr oft zum Nachweis herangezogen werden.
Weitere Möglichkeiten
Option 2: Individuelle Messung am Flansch in der Anlage unter Betriebsbedingungen. Diese Variante repräsentiert wohl die aufwändigste Vorgehensweise, da hier mittels der Spülgasmethode die entstehenden Leckagen unter Betriebsbedingungen gemessen werden. Dafür ist es erforderlich, die zu messenden Flansche einzuhausen. Auch diese Methode stellt für den Anlagenbauer/Betreiber einen erheblichen Mehraufwand dar und wird daher sehr wahrscheinlich nicht sehr oft zum Nachweis herangezogen werden.
Option 3: Berechnung nach EN 1591-1 als der gebräuchlichste Weg zum Nachweis. Bei der Auslegung der Anlagen muss ein Festigkeitsnachweis des Flanschsystems erbracht werden. Es ist sinnvoll, den Dichtklassennachweis über eine Berechnung gemäß EN 1591-1 oder Finite-Elemente-Analyse für eine Leckageklasse LN zu nutzen, da beide Methoden gemäß VDI 2290 sowohl die Festigkeit der Flanschverbindung als auch die Dichtheit nachweisen. Maßgebend für die Berechnung und den Nachweis der Dichtheit in Bezug auf die Leckageklasse L sind die Kennwerte der Dichtung, wie Mindestflächenpressung im Montagezustand Qmin(L) und die Mindestflächenpressung im Betriebszustand QSmin(L) in Abhängigkeit von der Anfangsflächenpressung QA.
Die Dichtungskennwerte gemäß EN 13555 standen bisher ausschließlich aus Messungen mit Helium zur Verfügung. Es war jedoch keineswegs sicher, ob diese Kennwerte auf Wasserstoff übertragbar sind. Daher entschied sich die Klinger Dichtungstechnik dazu, für mehrere ausgewählte Faser- und PTFE-Materialien aus dem Produktsortiment Versuche gemäß DIN EN 13555 unter Verwendung des Prüfmediums Wasserstoff durchführen zu lassen, abweichend vom empfohlenen Prüfmedium Helium. Diese Versuche nahm das akkreditierte unabhängige Prüfinstitut AMTEC Messtechnischer Service vor. Ziel der Untersuchungen war eine seriöse Gegenüberstellung beider Messungen, da diese Werte für die Dichtheit und Festigkeit und damit für die Sicherheit der Flanschverbindung relevant sind.
Ergebnisse, Erkenntnisse und Einsätze
In vielen Fällen zeigte sich eine weitgehende Übereinstimmung der Kurven wie im Beispiel des Klingersilc-4430 (Bild 1). Es existieren aber auch Messwerte, die zeigen, dass erhebliche Unterschiede zwischen den Messungen bestehen können, wie am Beispiel des Klingertop-chem 2003 zu erkennen ist. Im konkreten Fall liegt die Wasserstoffleckagekurve circa eine Zehnerpotenz unter der des Heliums (Bild 2).
Mit den erzielten Messergebnissen kann Klinger sowohl mit heliumbasierten als auch mit wasserstoffbasierten Dichtungskennwerten eine Berechnung nach EN 1591-1 für die Druckstufen 10 und 40 bar durchführen und damit die Leckageklasse in Verbindung mit der Flanschfestigkeit exakt nachweisen. Mit allen getesteten Dichtungswerkstoffen ist es möglich, die Anforderungen der TA-Luft und damit auch der DIN 3535-6 einzuhalten.
Aber nicht nur die Faser- und PTFE-Dichtungswerkstoffe des Herstellers eignen sich für den Einsatz in wasserstoffhaltigen Applikationen. Auch die Gummi-Stahl-Dichtung KGS GII ist mit ihren guten Produkteigenschaften für den Einsatz in P2X oder Gasanlagen auf die Herausforderungen der Energiewende bestens vorbereitet.
Für Erdgas schon gängige Praxis
Der Einsatz von Gummi-Stahl-Dichtungen aus dem elastomeren Synthesekunststoff Acrylnitril-Butadien-Kautschuk (NBR) ist für Erdgas seit vielen Jahren gängige Praxis und Standard für Auslegungsdrücke DP bis 10 bar. Hierfür wird der klassische Temperaturbereich angegeben mit –15 bis +60 °C. Der Einsatz von Gummidichtungen mit metallischer Einlage für Auslegungsdrücke DP über 10 bis 40 bar ist zulässig bei erfolgtem Nachweis über das Kriechverhalten, die Ausblassicherheit, die Maximal- und Mindestflächenpressung sowie das Alterungsverhalten nach DIN 28090-2/DIN EN 13555 (DIN 30690-1:2019-05).
Anhand der ermittelten Dichtungskoeffizienten (in Anlehnung an DIN EN 13555:2021-04) kann die Festigkeitsberechnung der Flanschverbindung (DIN EN 1591:2009) für die Gummi-Stahl-Dichtung KGS GII/NBR erfolgen. Die einschlägigen aktuellen Daten sind auf der Internet-Plattform www.gasketdata.org jederzeit verfügbar.
DAS sind die Besonderheiten von Gummi-Stahl-Dichtungen
Wasserstoff gilt unter den zuvor genannten Betriebs-, Druck- und Temperaturbedingungen als chemisch sehr inerte Substanz. Physikalisch gesehen hat dieser aufgrund seines sehr kleinen kinetischen Moleküldurchmessers (cirka 2,3 bis 2,9 [mA]) jedoch einen sehr hohen Diffusionsdruck. Dies bedeutet, dass es zu einer intensiven Interaktion von Wasserstoff und allen wasserstoffberührten Werkstoffen kommt.
In Bezug auf Acrylnitril-Butadien-Kautschuk (NBR) bedeutet dies, dass man dauerhaft einer Versprödung des Elastomers durch einen hohen Gehalt an Acrylnitril (ACN) in der Gummimischung selbst, entgegenwirken muss. Dabei ist zu beachten, dass die gummielastischen Eigenschaften erhalten bleiben. Insbesondere geht es darum die Glastemperatur von NBR möglichst niedrig zu halten, um den Einsatz bei tiefen Temperaturen (bis zu -30 °C) zu ermöglichen.
Des Weiteren ist bei der Herstellung von Gummi-Stahl-Dichtungen darauf Wert zu legen, dass sich während des Herstellungsprozesses keine Hohlräume in dem elastomeren Formkörper selbst bilden können. Hier besteht ansonsten die Gefahr der schnellen Gasdruckentlastung (Rapid Gas Decompression). Ebenso muss der Verbund zwischen dem Elastomer und der Stahleinlage besonders stark ausgeprägt sein.
Geschlossenporige Werkstoffe
Gummi und Stahl sind geschlossenporige Werkstoffe, die keine chemische Verbindung miteinander eingehen und nur aufeinander formschlüssig abbinden. Damit sich die Anhaftung des Elastomers deutlich verbessert, wird die Stahleinlage vorher einer Oberflächenbehandlung unterzogen, sie wird geprimert. Dies bewirkt, dass die Anhangskraft von Gummi auf den Primer (Adhäsion) größer ist, als die Zusammenhangskraft (Kohäsion) des Gummis selbst.
Selbst nach einer starken Formarbeit der Stahleinlage in der Gummi-Stahl-Dichtung kommt es nicht zu einem Abscheren des elastomeren Formkörpers oder zu einer Blasenbildung zwischen Elastomer und Stahleinlage. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Kohäsion des Primers und die Adhäsion dessen an die Stahleinlage immer größer sind, als die Kohäsion des Elastomers selbst.
Gummi-Stahl-Dichtung mit Qualität NBR
Durch die sorgfältige Auswahl an Werkstoffen sowie einer präzisen Fertigung unter sehr hohem Druck mit bis zu 300 bar, wurde mit der KGS GII von Klinger eine Gummi-Stahl-Dichtung mit alleinstellenden Merkmalen geschaffen. Nach Prüfung und Auswertung durch den TÜV SÜD, wurde die KGS GII als besonders hochwertige Dichtung anerkannt. Bescheinigt wird für die Qualität NBR, innerhalb der chemischen und physikalischen Beständigkeit des elastomeren Synthesekunststoffes, der uneingeschränkte Einsatz für Wasserstoff, Einhaltung der Leckagegrenzen gemäß TA-Luft nach Auslagerung für 1.500 Stunden (VDI 2440: 2000-11, L0,01 DIN EN 13555:2014-07) im Sinne der technischen Dichtheit, sowie Ausblassicherheit Klasse C (TRwS Ausblassicherheit, Qs min: 4 MPa bei 100 bar). Zudem ist durch den ausgewogen hohen Acrylnitrilgehalt (ACN) eine dauerhafte Beständigkeit gegenüber Wasserstoff gegeben.
Leckagemöglichkeiten schließen
Eine Dichtung muss im Wesentlichen zwei potenzielle Möglichkeiten einer Leckage schließen. Diffusion durch die Dichtung selbst: Hierbei ist es sehr wichtig, eventuell vorhandene Poren oder Kanäle im Dichtungswerkstoff durch adäquate Vorspannung zwischen zwei Flanschblättern zu verschließen. Da es sich bei dem entsprechend beschriebenen Elastomer (NBR) um ein geschlossenporiges und nach Fertigung als Gummi-Stahl-Dichtung KGS GII, um einen porenfreien Dichtwerkstoff handelt, wird einer Diffusion bereits im nicht vorgespanntem Zustand maximal entgegengewirkt. Diffusion zwischen den Phasengrenzen der Dichtung und den Oberflächen der Flanschdichtleisten einer Flanschverbindung: Hierbei ist es notwendig, dass bei adäquater Vorspannung der Dichtung, sich ein effektiver und hohlraumfreier Formschluss ergibt.
Breiter Arbeitsbereich wichtig
Der definierte Arbeitsbereich einer Dichtung beginnt mit der minimalen Vorspannung einer Dichtung, ab der eine Dichtheit unter Bezugnahme der zuvor genannten Punkte nachweislich eintritt und endet mit der maximalen Vorspannung dieser, bevor die Dichtung zerstört wird.
Idealerweise hat eine Dichtung einen breiten Arbeitsbereich, was die Handhabung und Montage deutlich vereinfacht, das heißt es ist eine niedrige minimale Vorspannung zur Abdichtung notwendig und eine hohe maximale Vorspannung möglich wie beim Einsatz von hochfesten Schraubengüten (8.8, 25CrMo4, etc.).
Für die Gummi-Stahl-Dichtung KGS GII von Klinger in dem elastomeren Synthesekunststoff Acryl-Nitril-Butadien Kautschuk (NBR) ergibt sich ein für Gummi-Stahl-Dichtungen bislang unerreichter Arbeitsbereich von 0,5 bis 40 MPa (QSmin(L) bis QSmax). Hierzu stellt Klinger auf Wunsch auch detaillierte Anzugsdrehmomente als minimale und maximale Daten für verschiedene Schraubengüten und metrische Abmessungen (DIN EN 1514-1: 1997-08) bis zu einem Betriebsdruck von 40 bar (MOP – Maximum Operating Pressure 40 bar) zur Verfügung.
Eine Sonderversion als Gummi-Stahl-Dichtung KGS GII HP ist auch für PN 63 und PN 100 (Abmessungen laut DIN EN 1514-4) mit Betriebsdrücken bis zu 63 und 100 bar verfügbar.
Definition Technische Dichtheit:
Eine Flanschverbindung nach DIN EN 1092 gilt nach aktuellem Stand der Technik als (dauerhaft) technisch dicht, wenn ein rechnerischer Nachweis nach EN 1591-1 oder Finite-Elemente-Analyse für eine Leckageklasse L0,01 erbracht werden kann (TA-Luft Ausgabe 18. August 2021, VDI 2290 Ausgabe Juni 2012).
Die für die Flanschberechnung zugrunde liegenden Dichtungskennwerte werden aber normalerweise nach DIN EN 13555 mit Helium ermittelt. Helium ist nach Wasserstoff das chemische Element mit der zweitgeringsten Dichte und kommt hinsichtlich der Größe dem Wasserstoff am nächsten (s. Bild 5, Quelle: www.arnold-chemie.de). Aufgrund der unterschiedlichen Werte für Gasviskosität und Gasdichte bei annähernd gleichen kinetischen Durchmessern, sind jedoch im Einzelfall andere Leckageraten zu erwarten.
Erkenntnisse und Fazit
Die vielfältigen Prüfungen und Testreihen haben ergeben, dass eine dauerhafte und sichere technische Dichtheit mit der Gummi-Stahl-Dichtung KGS GII/NBR mit einfacher Handhabung und Montage erzielt wird. Für die Berechnung der Flanschverbindung in Wasserstoff- und/oder wasserstoffhaltigen Prozessen können die ermittelten Dichtungskoeffizienten in Anlehnung nach der DIN EN 13555 (Prüfmittel Helium, He) zur Anwendung kommen.
Die sehr gute chemische Beständigkeit sowie der große Druck- und Temperatureinsatzbereich machen die Dichtungsmaterialien zur ersten Wahl – nicht nur in wasserstofferzeugenden Anlagen, sondern auch in angrenzenden Bereichen, in denen beispielsweise mit Ammoniak, Methylalkohol oder mit Benzyltoluol gearbeitet wird. Quellen: TA-Luft Ausgabe 18. August 2021, VDI 2290 Ausgabe Juni 2012, www.arnold-chemie.de, DIN 3535-6, DIN EN 13555:2021
Autoren: Dipl. Ing. Robert Steffens, Geschäftsbereichsleiter Elastomere (Hbv.), Dipl. Ing. Stefan Keck, Produktmanager Dichtungen (Hbv.) Dichtungstechnik, Klinger
Quelle: Klinger (Aufmacherbild: dinastya – stock.adobe.com)